Die EU-Erbrechtsverordnung eröffnet seit 2015 die Möglichkeit, für Erbfälle ein anderes Recht zu wählen als das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts. Bei ausländischer Staatsangehörigkeit kann es daher passieren, dass Erblasser, gesetzlicher Erbe und Vermögen im Inland sind und dennoch der Erbfall nach ausländischem Recht abgewickelt wird.

 

Ein starkes Recht nach deutscher Rechtsordnung ist das Pflichtteilsrecht. Ob dieses in einem solchen Fall mithilfe der ausländischen Rechtswahl abbedungen werden kann, hat nun der BGH entschieden. Im Folgenden erläuterte ich das neue Urteil.

 

Der Pflichtteil nach deutschem Recht

 

Der Pflichtteil steht dem Ehegatten und nahen Verwandten zu, wenn sie vom Erblasser enterbt wurden. Nach deutschem Recht ist es beinahe unmöglich, den Pflichtteil einseitig auszuschließen.

 

Zwar kann der Pflichtteilsberechtigte freiwillig verzichten, dies kommt aber in der Praxis nur dann vor, wenn er zuvor angemessen abgefunden wurde. Von Gesetzes wegen entfällt der Pflichtteil lediglich dann, wenn sich der Berechtigte einer schweren Verfehlung gegen den Erblasser schuldig gemacht hat. Streit, Schulden, Suchterkrankungen oder auch leichte Vergehen genügen dafür nicht.

 

Es ist nachvollziehbar, dass Erblasser in solchen Fällen Möglichkeiten suchen, den Pflichtteil zu umgehen. Geht es lediglich darum, den Erben vor sich selbst zu schützen oder sicherzustellen, dass seine Gläubiger nicht an das Erbe gelangen, so gibt es dafür Lösungen, die in Testament oder Erbvertrag umgesetzt werden können.

 

Soll aber der Pflichtteilsberechtigte von allen finanziellen Vorteilen ausgeschlossen werden, ist dies nach deutschem Recht nicht vorgesehen.

 

Rechtswahl nach EU-Erbrechtsverordnung

 

Der Bundesgerichtshof hat nun einen Fall entschieden, in dem ein (auch) englischer Staatsbürger versucht hat, durch Rechtswahl den Pflichtteil des Sohnes zu umgehen.

 

Grundsätzlich regelt seit 2015 die EU-Erbrechtsverordnung das anwendbare Recht. Danach gilt das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, wenn keine Rechtswahl vorgenommen wurde. Möchte man das nicht, kann das Heimatrecht gewählt werden. Bei mehrfacher Staatsangehörigkeit kann jedes dieser Rechte gewählt werden. In dem Fall wenden auch deutsche Gerichte, wenn sie zuständig sind, das ausländische Recht an.

 

In dem nun entschiedenen Fall hatte der Erblasser zwei Staatsangehörigkeiten – deutsch und englisch. Er selbst sowie auch sein pflichtteilsberechtigter Sohn hatten ihren Aufenthalt seit Jahrzehnten und auch beim Erbfall im Inland und das Vermögen befand sich ebenfalls dort. In seinem Testament hatte der Erblasser die Anwendung englischen Rechts gewählt.

 

Pflichtteil nach englischem Recht

 

Das englische Recht kennt keinen dem deutschen Recht vergleichbaren Pflichtteil. Die Rechte enterbter Kinder sind abhängig von deren Bedürftigkeit, dem Ermessen des Richters und dem Aufenthalt in England oder Wales. Dies unterscheidet sich in allen Punkten vom deutschen Recht, wonach der Pflichtteil unabhängig ist von der Bedürftigkeit, nach einer festen Formel berechnet wird und vom Aufenthalt des Berechtigten nicht abhängt.

 

Die Entscheidung des BGH

 

Aus diesem Grund war der enterbte Sohn der Ansicht, der Pflichtteil stünde ihm dennoch zu – und der BGH gab ihm Recht. Die Begründung lautete wie folgt:

 

Das deutsche Pflichtteilsrecht basiere auf Grundrechten (Art 6 GG – Familie, Art. 14 GG – Eigentum) und sei deshalb in Fällen mit starkem Inlandsbezug nicht ohne weiteres auszuhebeln. Die ausschließliche Anwendung englischen Rechts führe zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (Ordre public), in welchem Fall die EU-Erbrechtsverordnung eine Ausnahme von der Anwendbarkeit des gewählten Rechts zulasse. Deshalb werden das Testament und die Rechtswahl nicht per se unwirksam, jedoch gehe das deutsche Pflichtteilsrecht insoweit dem englischen vor.

 

In Fällen mit weniger starkem Inlandsbezug wurde durch die Rechtsprechung auch schon der Verstoß gegen den Ordre public verneint. In diesem Fall jedoch hat der BGH entschieden, dass die Erbin Auskunft über den Bestand des Nachlasses erteilen muss, damit der Pflichtteil berechnet werden kann.

 

(Urteil vom 29.06.2022, IV ZR 110/21)

 

Haben Sie Fragen zu Testament, Erbschaft und Pflichtteil? Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung!

 

Ihre Rechtsanwältin von Lonski